Fragmente 1.18 – Die Reise ins Ungewisse


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Was bisher geschah:

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Anne schlief nicht durch. Immer wieder wachte sie auf und die Nervosität wegen der bevorstehenden Reise liess sie lange wach liegen. Irgendwann war es endlich Morgen geworden und Anne war froh, das Bett verlassen zu können. Irgendwie fürchtete sie sich ein Stück weit vor dem was nun vor ihr lag, andererseits freute sie sich auch darauf. Sie würde Raoul wiedersehen und sie würde in das grösste Abenteuer ihres Lebens aufbrechen.

Alles war bereit. Ihre Koffer waren gepackt, der Stein mit der Karte im Gepäck verstaut und sie musste nur noch losziehen. Nur noch ein letztes Frühstück mit Sandra trennte sie von dem Abflug. Die beiden Freundinnen sprachen nicht viel, obwohl sie einander beide noch so viel zu sagen hatten. Anne die Sandra danken wollte und der ihre Freundin jetzt schon fehlte. Und Sandra die voller Sorge war, ob Anne die Reise und vor allem ihren Aufenthalt in Peru schadlos überstehen würde. Doch Worte waren überflüssig. Immer wieder trafen sich die Augen der beiden jungen Frauen. Ab und zu huschte ein verschwörerisches Lächeln über ihre Lippen und das Unausgesprochene lag greifbar in der spannungsgeladenen Luft.

Ihre Kommunikation funktionierte wortlos, was das innere Band der beiden zusätzlich verstärkte. Anne würde Sandra sehr vermissen. Aber sie wusste auch, dass Sandra in ihrem Herzen bei ihr sein würde. Und ihr war klar, dass sie diesen Weg alleine gehen musste. Denn es war nicht so sehr die Reise zu Raoul oder das Abenteuer in einem fernen Land das vor ihr lag. Viel mehr war es der Weg zu ihr selbst. Ein Aufbruch in eine Zukunft, in der sie selbst ihre Geschicke in die Hand nahm. Es würde von ihren Entscheidungen abhängen, ob sie überleben würde. Es gab niemanden, dem sie folgen konnte, niemanden der sie unterwegs beschützte oder ihr helfen konnte. Bis zu dem Zeitpunkt an dem sie Raoul in Peru finden würde, war sie komplett auf sich selbst gestellt.

Dieses Gefühl von Selbstbestimmtheit, Stärke und dem Wissen auf einer wichtigen Mission zu sein, erfüllte Anne mit Kraft und sie lächelte Sandra wortlos an. Sandra nickte nur und blickte auf die Uhr. Es wurde Zeit und die beiden Frauen mussten das Hotel verlassen. Nachdem der letzte Koffer und die Reisetasche verstaut waren, fuhren sie in Richtung Flughafen davon. Die Fahrt verlief dieses Mal ohne Zwischenfälle und sie kamen rechtzeitig an der angegebenen Abflughalle an. Anne lud ihr Gepäck auf einen Rollwagen und Sandra begleitete sie zum Check-In.

Wie immer, wenn Anne sich auf einem Flughafen befand, befiel sie dieses Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Diese Orte waren Tore zur Welt und von hier aus konnte man beinahe jedes Land erreichen. Schon als Kind war Anne von diesen Gebäuden fasziniert. Die Menschen hier strahlten ein Gefühl aus, dass sich sonst nirgendwo so manifestierte. Anne tauchte ein in diese Energie und nur der Moment des Abschieds von Anne vermochte Ihre Freude und Spannung zu trüben. Dann war der Augenblick gekommen. Sandra nahm Anne in die Arme und die beiden Freundinnen umarmten sich. Sandra wartete bis Anne eingecheckt hatte und schaute ihrer Freundin nach, als diese sich zum Zoll begab. Anne blieb kurz stehen und hob ihre Hand zu einem letzten Gruss. Dann wurde sie von dem Durchgang verschluckt, der die Sicherheitszone vom Check-In trennte.

Sie suchte ihr Gate und musste dort noch fast eine Stunde auf das Boarding warten. Sie nutzte die Zeit und schmöckerte in ihrem Reiseführer. Ihre Gedanken pendelten zwischen der Vergangenheit, dem Hier und Jetzt und der kurz bevorstehenden Zukunft. Innerlich verabschiedete sie sich von ihrem alten Leben und bereitete sich auf das vor, was vor ihr lag. Die Bilder der Nazca-Ebenen in dem Buch in ihren Händen entlockten ihr ein Lächeln. Bald, davon war sie überzeugt, würde sie endlich Raoul gegenüber stehen. Bald würde sich der Kreis schliessen. Bald würde sie in Peru und bei sich selbst angekommen sein.

Eine Stimme aus dem Lautsprecher, die das Boarding ihres Fluges ankündigte, riss Anne aus ihren Gedanken. Sie stand auf, begab sich zu dem Gateway und bevor sie noch einmal zurückschauen konnte, befand sie sich im Bauch des Flugzeugs. Im Inneren herrschte die typische Betriebsamkeit vor dem Start eines Fluges. Passagiere hievten ihr Handgepäck in die Kofferablagen oberhalb der Sitze, Flugbegleiterinnen lächelten freundlich und zeigten Fluggästen ihre Plätze. Anne hatte Glück und hatte einen Fensterplatz buchen können. Sie hatten ihre Reisetasche verstaut, sich ihre Reiseführer und Magazine in der Tasche an der Hinterseite der Rücklehne des Sitzes vor ihr eingesteckt und machte es sich in ihrem Sitz so bequem es eben ging.

Langsam füllte sich die Maschine bis auf den letzten Platz. Nur zwei Reihen vor Ihr blieb noch ein Sitz frei. Das musste der zweite der annulierten Pätze der sonst ausgebuchten Maschine sein. Sandra blickte aus dem Fenster und sie nahm das Bild der ihr vertrauten Landschaft in sich auf. Die sanften grünen Hügel, die dunklen Wälder, die Häuser der Städt. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie keinen Rückflug gebucht hatte. Wann würde sie diese vertrauten Bilder wieder sehen? Wann würde sie zurückkehren? Langsam spürte sie, wie neben ihrer Freude über das Abenteuer auch das Gefühl des Abschieds, der Trennung von dem was ihr vertaut und lieb geworden war vor ihr stand.

Würde ihr Vater im Krankenhaus bald aus dem Koma erwachen? Wann würde sie ihn und Sandra wieder sehen? Anne versuchte diese Gedanken abzuschütteln und vertiefte sich in eine Illustrierte, die sie sich am Kiosk im Flughafen gekauft hatte. Doch für einmal vermochten sie die Seiten mit den neusten Handtaschen und Schuhmodellen nicht wirklich in ihren Bann zu ziehen. Immer wieder schweiften Ihre Gedanken ab und immer wieder zog es ihren Blick zu der vertrauten Umgebung des Flughafens. Langsam rückte der Start der Maschine immer näher. Die Tür des Flugzeugs wurde geschlossen und Anne gurtete sich vorsichtshalber bereits an.

Doch die Maschine blieb stehen und mehrere Minuten vergingen, ohne dass sie auf das Rollfeld manöveriert wurden. Eine Flugbegleiterin ging nun plötzlich auf die bereits geschlossene Tür des Flugzeugs zu und öffnete diese erneut. Jemand schien sich verspätet zu haben und stieg noch nachträglich zu. Anne kannte diesen Mann nicht der nun auf dem freien Sitz, der ihr vorher aufgefallen war, Platz nahm. Und doch beschlich sie ein seltsames Gefühl, als sie bemerkte, wie dieser sich umschaute und jemand zu suchen schien. Bevor sich sein Kopf in ihre Richtung drehte, verschanzte sie sich schnell hinter ihrem aufgeschlagenen Magazin. Vielleicht war es ja nur so ein dummer Verdacht, der aufgrund der Erlebnisse der letzten Tage in ihr hochstieg. Und doch kroch ihr die Angst den Rücken hoch, wenn sie diesen Mann betrachtet, der nun in seinem Sitz sass und nach vorne blickte.

Langsam setzte sich nun das Flugzeug in Bewegung und rollte auf die Startbahn. Die Triebwerke wurden immer lauter, heulten auf und die Maschine gewann rasch an Geschwindigkeit. Die Fluggäste wurden in Ihre Sitze gedrückt und plötzlich hoben sie ab. Der Belag der Flugpiste raste unter ihnen vorbei und die Gebäude wurden immer kleiner. Nun gab es kein zurück mehr! Anne atmete tief durch und lehnte sich in ihrem Sitz zurück und genoss das Gefühl, sich immer weiter weg von der Welt da unten zu entfernen. Und unweigerlich drängte sich ein altes Lied in ihren Kopf „Über den Wolken, da muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“

Langsam entspannte sich Anne und beschloss, sich einen Prosecco zu bestellen, sobald die Flugbegleiterin vorbeikommen und sie nach einem Getränkewusch befragen würde. Sie wollte den Moment gebührend würdigen und ihr Abenteuer feierlich beginnen. Je höher sie stiegen umso besser fühlte sich Anne und je näher sie Peru kamen umso mehr freute sie sich auf das Wiedersehen mit Raoul. Sie schloss ihre Augen und versuchte sich auszumahlen, wie es sein würde ihren fernen Freund in ihre Arme zu schliessen.

Doch ein trockener, kehliger Husten riss sie aus ihren Gedanken. Sie schaute sich um. Der Kopf des verspätet zugestigenen Passagiers hob und senkte sich und er hustete erneut. Annes erstarrte und obwohl sie einen machtvollen Drang verspürte laut heraus zu schreien, schnürrte ihr  die Panik die Kehle zu. Augenblicklich wurde ihr klar, dass sie diesen Husten kannte. Und sie wusste auch sofort wo sie ihn zuvor schon gehört hatte.

Weiter mit Fragmente 1.19 – Über den Wolken

6 Gedanken zu “Fragmente 1.18 – Die Reise ins Ungewisse

  1. Jane

    … da isses wieder…. ein neues fragment… hab schon befürchtet, du hast eine schreib-blockade ;-)… aber nun bin ich beruhigt… und ich bemerkte, die zeiten der ruhe sind vorbei… es wird wieder spannend…

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  2. Blacky

    heute morgen hab ich gesehen, dass ein neues Fragment online ist – und hatte keine Zeit es sofort zu lesen :-( . Aber das Warten hat sich gelohnt und es geht wieder einmal mit Nervenkitzel weiter… und wieder ist Warten auf die Fortsetzung angesagt….

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  3. Wußt ich’s doch! Muß ich die übrig gelassene Arbeit vom Pelzmonster nun übernehmen…..

    Das kostet………

    So, und nun muß ich lesen. ’ne Weile, hab einiges verpennt *grmpf*

    Ganz dickes Bussi an Euch beide und ich gelobe wieder „Alltag“ ;-)

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  4. Teenudel

    Hi Stoeps,

    endlich hatte ich Zeit um in aller Ruhe die Fortsetzung lesen zu können (hatte zwischenzeitlich jede Menge zu tun und mein Mann hatte Urlaub, da komm ich sowieso zu nichts) und nun steigt schon wieder mein Adrenalinspiegel. Hoffentlich muß ich nicht so lange auf eine Fortsetzung warten *dich-auf-knien-anfleh*.

    Lg und ein paar Sonnenstrahlen schickt dir die Teenudel

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  5. @Jane: Naja, ganz unrecht hast Du nicht, was Deine Befürchtung mit der Schreibblockade angeht. Es läuft nicht so flüssig im Moment. Aber jetzt sitze ich hier und schreibe weiter! Versprochen! Und es wird auch wieder spannend werden :-)))

    Liebe Grüsse nach Leipzisch!
    Stoeps

    @Blacky: Jawohl, jetzt gehts wieder weiter! Vielleicht habe ich heute sogar die Musse um mehrere Teile im Voraus zu schreiben, dann musst Du nicht so lange auf das nächste Fragment warten!

    Es grüsst herzlich
    Stoeps

    @Erdge Schoss: Tatsächlich, werter Herr Schoss! Mal sehen, welche Phobien ich sonst noch so herauskitzeln kann :-) Was machen Sie eigentlich gegen Schreibblockaden, werter Erdge?

    Verstopft
    Stoeps

    @Pssst!: Ein herzliches Willkommen zurück liebes Fräulein Pssst! :-) Ich hoffe, der Winterschlaf hat gewirkt? ;-) Schönes neues zu Hause haben Sie da im Web! :-))) Ich gelobe auch Besserung und hoffe, es gibt wieder mehr neue Fragmente!

    Ganz dickes Bussi zurück!
    Stoeps

    @Teenudel: Ja gell, liebe Teenudel. Das reale Leben hälte einem oft von den virtuellen Spässen ab. Das ging auch mir so in der letzten Zeit. Deshalb wars hier auch etwas ruhig! Aber nun solls weitergehen. Mal sehen, was meine Fantasie so hergibt! :-)))

    Herzliche Grüsse und bfüet Di!
    Stoeps

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