Der Plan war es, am Montag früh aufzustehen, um spätestens um 9 Uhr losfahren zu können. „Frühstück von 8 – 11 Uhr“ stand da auf der Tafel des Hotelrestaurants. Also standen wir pünktlich um acht auf der Matte. Aber das Buffet war noch leer. Nur eine Schale mit Tomaten und eine mit Käse standen schon da. Die „just 5 Minutes“ des Kellners dauerten dann bis neun Uhr. Wir überbrückten mit Tee und – oh Graus – Nescafé. Um zehn fuhren wir los. Die Stunde holten wir locker wieder auf, hier fahren ja alle wie der Henker!
In Izmir machten wir Halt um einen Turk Kahvesi zu trinken. Das Stadtviertel war ärmlich und heruntergekommen und von Tourismus keine Spur. Der Kaffeehausbesitzer freute sich sehr über seine ausländischen Gäste, spendierte uns einen Çay und schüttelte uns zum Abschied die Hände.
Nach langer Fahrt erreichten wir Abends dann unser neues Domizil für die nächsten zwei Tage: Das Hotel Kervansaray in Assos. Ein 3-Stöckiger Steinbau direkt am Meer im antiken Hafen. Das Hotel strahlt einen ähnlichen Charme aus, wie eines dieser alten Grand Hotels der Schweiz, deren Renovationsbedarf ihren eigentümlichen Reiz ausmacht.
Doch etwas scheint hier seltsam. Vielleicht liegt es daran, dass wir immer weiter in den Norden kommen, oder vielleicht ist es die Tatsache, dass es hier keine Chefin gibt, deren Führung die Balance zwischen Disziplin und Herzlichkeit schafft.
Unser Kellner scheint ein Nachkomme von Frankensteins Familie und russischer Bauern zu sein. Sein gebückter Gang und die mürrisch- forsche Art kurbelten unsere Fantasie an. In Wirklichkeit müsse er wohl Boris heissen und war vielleicht mal Hausmeister in Jelzins Sommerresidenz. In Ungnade gefallen, sei er wohl hier gestrandet. Oder der junge herumstolzierende Grieche, wir nennen ihn Stavros, der mit ausgefallenem Silberschmuck und hochgehaltener Adlernase den Gästen begegnet. Alimentenzahlungen – wir waren uns da schnell einig – müssten wohl der Grund für sein Exil hier am Ende der orientalischen Welt sein.
Überhaupt fällt uns auf, das hier patriarchalischer Machismo der fast schon unerträglichen Art vorherrscht. Es gibt nur eine Kellnerin und was für ein Glück: Sie hat es! Dieses strahlende mediterane Lächeln!
Am Hafen der verlorenen Seelen gibt es denn auch Sonne, silbern glänzende Fischschwärme in glasklarem Wasser. Und leckere Meze! Und oben auf dem Berg den Tempel der Athene mit eindrücklichen Ruinen eines Theaters, eines Marktplatzes, Gymnasium, Nekropolen, römischem Bad und eine der ältesten Moscheen. Hier lehrte einst Aristoteles und predigte später Paulus auf seiner letzten Reise über die Insel Lesbos nach Rom.
Eine kleine Metropole im Kreuzfeuer zwischen Wissenschaft, Religionen und Kreuzzügen.
Erstaunlich wie sich ein Ort vom mondänen Zentrum zu einem kleinen Machoreservat verändern kann. Schön ist es hier trotzdem auf seine ganz eigene, morbid-altmodische Weise!
Und Morgen ziehen wir auch schon weiter nach Istanbul. Wir freuen uns riesig auf Arzu, das Honey Steak im Dai Pera, auf Erdem, den Hamam-Masseur und auf zuckersüsses Baklava.
Und mit Istanbul erreichen wir auch das Ende einer Reise, die uns unvergesslich bleiben wird.
Etwas Wehmut macht sich breit, jetzt wo der Endpunkt unseres Türkeitrips in Sichtweite kommt. Aber auch die Gewissheit, das unsere Seelen nicht irgendwo gestrandet sind, sondern immer auf der Reise sein werden.
Hinaus in die Welt und hinein zum Mittelpunkt unseres eigenen Seins!
„Insallah“ würde Elif aus Kas jetzt wohl sagen und gottlos wie ich nun mal bin, wiederhole ich es mit einem liebevollen Augenzwinkern:
Insallah!
Hmmm Baklava, bitte esse doch für mich eine kleine Portion mit!
Euer Kellner und vor allem die Geschichte, die ihr euch zu ihm überlegt habt, finde ich toll. Wer weiß, vielleicht stammt er ja von Frankenstein ab ;-) Die Vorstellung erinnert mich an „Tanz der Vampire“ ….(ich liebe das Musical).
Das Foto von Tom als Statue finde ich toll, wirklich wie ein Gott.
Grüße von einer ebenfalls gottlosen Teenudel und viel Spaß mit Boris.
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