Fragmente 1.21 – Unerwartete Wendungen

parkingdeck

photocredit: Takashi Toyooka

Was bisher geschah:

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Anne blickte in die finster wirkenden Gesichter der bewaffneten Männer und überlegte fieberhaft wie sie aus dieser Situation entkommen konnten. Sie und Luis traten noch einen Schritt zurück und blickten sich nun gegenseitig an. „Was sollen wir tun?“ fragte Anne leise, doch Luis zückte nur mit den Schultern. Sie sah ihm an, dass auch er keinen Ausweg sah. Als ihr klar wurde, dass es diesmal kein Entrinnen gab, liess sie ihre Arme sinken und ergab sich ihrem Schicksal.

Plötzlich erklang hinter ihnen ein schnarrendes Geräusch. Eine Schiebetür öffnete sich und Anne spürte, wie eine kräftige Hand ihren Arm erfgriff und sie nach hinten zog. Aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, dass auch Luis nach hinten gezogen wurde. Mit aller Kraft riss Anne an ihrer Reisetasche, die mit ihrem Gewicht ihrer Rückwärtsbewegung zusätzlichen Schub gab und Anne stolperte rückwärts. Die Schiebetür schloss sich nur einige Zentimeter vor ihrem Gesicht. „Schnell! Folgt mir!“rief eine ihr unbekannte Stimme. „Hier entlang!“ der Mann zeigte nach rechts in einen Korridor der nach ein paar Metern an einer Treppe endete die nach unten führte. Ohne darüber nachzudenken packte Anne ihre Tasche, griff nach Luis Hand und die beiden spurteten zusammen mit dem Unbekannten los. Die paar Meter bis zur Treppe waren schnell überwunden und sie rannten hinunter.

Die Luft in diesem Kellerraum war ein paar Grad kühler und erleichterte ihnen das Atmen. „Schnell, schnell, hier hinein!“ rief der Mann, der sie aus der misslichen Lage oben bei der Gepäckabholung befreit hatte und öffnete eine unscheinbare Tür, die zu einem weiteren Korridor mit etlichen Eingängen zu anderen Räumen führte. Hastig rannten sie vorwärts, bis die Stimme des Retters wieder erklang: „Halt! Hier hinein!“. Doch Anne konnte keine Tür entdecken. Der Mann bückte sich und löste ein Lüftungsgitter aus der Wand. „Schnell, schnell!“ rief er und Anne warf erst ihre Tasche hinein um dann selbst durch die Öffnung zu klettern. Luis folgte ihr in dem er ihr erst seinen Rucksack durchreichte und dann selbst durch den Durchgang kletterte. Der Mann folgte ihnen und hebelte geschickt hinter sich das Metallgitter wieder in die Ausparung. „Psst! Seid ganz leise!“ flüsterte er und Anne und Luis wagten kaum zu atmen. Im Korridor aus dem sie geflüchtet waren erklangen nun die Schritte einiger Männer und das metallene klappern ihrer Waffen. Sie rannten durch den Korridor, an dem Gitter vorbei und nach ein paar Minuten schien der Spuk vorbei zu sein.

„¡Bienvenidos a Perú!“ flüsterte der unbekannte Retter und Luis begann leise zu lachen. „Pedro! Du bist ein Teufelskerl! Deine Rettung kam in letzter Sekunde!“. Pedro lachte leise zurück und die beiden Männer umarmten sich herzlich. „Pedro, das ist Anne, Anne das ist Pedro. Mein Freund, der hier am Flughafen arbeitet!“. Anne schüttelte Pedro die Hand. „Ich weiss nicht, was ich sagen soll! Danke!“ sagte sie und war sichtlich damit beschäftigt, die letzten Sekunden einzuordnen. „Wo sind wir hier?“ fragte sie. „Im Keller mit den Fundsachen und der nicht abgeholten Gepäckstücken.“ antwortete Pedro. Anne schaute sich um und fragte sich, ob sich auch ihr Koffer hier befand. Pedro errat ihre Gedanken und lächelte schelmisch. „Deinen Koffer wirst Du hier nicht finden Anne, der steht in meinem Büro, zusammen mit dem Gepäck von Luis“ triumphierte Pedro. Sie schaute ihn an und ihr Gehirn brauchte ein paar Sekunden um den Sinn seiner Worte zu verstehen. Doch dann lachte sie los und umarmte Pedro stürmisch. „Danke Pedro! Vielen Dank!“ rief Anne. „Psst! Nicht zu laut!“ raunte dieser und schaute zu dem Lüftungsgitter. Wieder erklangen die Geräusche von mehreren Männern, die nun in langsamerem Tempo in entgegengesetzter Richtung durch den Korridor schritten. Jede Tür zu den angrenzenden Räumen wurde aufgestossen um nach erfolgloser Suche wieder geschlossen zu werden.

„Wir können nicht hier bleiben!“ sagte Pedro „sicher werden sie den gesamten Flughafen durchsuchen. Früher oder später werden sie uns finden!“ Er erklärte Luis den Weg zur Tiefgarage für das Flughafenpersonal. „Ich hole Euer Gepäck und wir treffen uns dann dort in spätestens 15 Minuten.“ sagte Pedro. „Seid vorsichtig, dass ihr nicht doch erwischt werdet!“ „Aber, die werden uns doch sofort erkennen, wenn sie uns sehen!“ erwiederte Anne. Luis pflichtete Anne bei und war von der Idee nicht sonderlich begeistert. „Moment!“ nickte Pedro. Er ging in einen Nebenraum und kam mit einer Uniform einer Flugbegleiterin und einem Overall eines Reinigungsangestellten zurück.

Kurze Zeit später schlichen Anne und Luis einen unterirdischen Gang entlang. Ihre Körper standen unter Hochspannung. Jeder ihrer Schritte hinterliess ein Frösteln auf Annes Rücken und der Schweiss rann ihr in Bächen über den Körper. Sie mussten nur noch einen Korridor weiter, dann links durch eine Tür um in die Tiefgarage zu gelangen. Anne ging vorsichtig auf diesen Durchgang zu und erstarrte vor Schreck, als sich die Tür öffnete und eine Gruppe von 3 jungen Damen, in der gleichen Uniform die auch Anne trug, auf sie zukam. Anne versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und ging weiter. Auch die Nerven von Luis waren bis zum Zerreissen gespannt. Die drei Flugbegleiterinnen grüssten freundlich und Anne versuchte entspannt zu wirken und nickte mit einem erzwungenen Lächeln zurück. Nur noch ein paar Schritte, dann hatten sie Ihr Ziel erreicht.

Kaum hatten sie die Tür zur Tiefgarage geöffnet hörten sie hinter sich die Stimmen von Männern die sehr aufgeregt klangen. Offensichtlich waren nun einige Polizisten hinter ihnen und befragten gerade die drei Flugbegleiterinnen die ihnen vorher begegnet waren. Anne schnappte noch ein „No Señor, lo siento“ auf, als die kühle Luft der Garage sie umfing. Der Gestank von Diesel und Benzindämpfen vermischte sich mit dem Geschmack von Kerosin und Gummi. Anne rümpfte die Nase und zog Luis zu sich heran. „Wir sollten uns kurz hinter diesem Lieferwagen verstecken! Die Polizisten kommen sicher gleich in die Tiefgarage.“ Luis nickte und beide versteckten sich hinter einem dunklen Transporter. Keine Sekunde später flog die Tür auf. 5 Männer in Uniform durchschritten den Eingang, durch den auch Anne und Luis vorher kamen. Sie waren keine 10 Meter von ihnen entfernt und begannen nun mit ihrer Suche.

Anne und Luis hielten sich so still es nur irgendwie ging. Einer der Beamten kam immer näher auf sie zu, während die anderen sich verteilten und auf anderen Ebenen suchten. Der eine Polizist näherte sich nun dem Lieferwagen, hinter dem sich die beiden versteckt hielten und schaute durch das Seitenfenster in das innere des Wagens. Anne konnte seine Schritte hören und realisierte, dass er nun um den Wagen herumging. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, dann wurden sie entdeckt. Sie blickte sich zu Luis um und stellte mit Schrecken fest, dass dieser weg war. Er musste wohl vorne um die Front des Transporters geschlichen sein. Sie war alleine und verloren!

Anne stockte der Atem und es fühlte sich an als ob unsichtbare Hände ihr die Kehle zudrückten, als der Kopf des Polizisten hinter dem Lieferwagen erschien und sie anblickte. „¡hola ricura!“ grinste der Kerl schmierig und kam auf Anne zu. Sie war sich nicht sicher, ob er sie erkannt hatte oder ob er einfach die Situation ausnützen und einer vermeintlich eingeschüchterten Flugbegeiterin einen Schrecken einjagen wollte. „¿Que haces aquí mismo?“. Anne war sprachlos und brachte kein Wort hervor.  Sie blickte den Kerl ungläubig an während dieser Schritt um Schritt auf sie zukam. „!la mar de bonito!“ raunte dieser nun und stiess einen anerkennenden Pfiff aus. Er trat noch einen Schritt auf Anne zu und stand nun dicht vor ihr. Sie konnte den Alkohol in seinem Atem riechen und begann am ganzen Körper zu zittern. Der Mann beugte sich vor und berührte ihren Hals mit seiner Nase. Tief zog er die Luft ein und roch an Anne wie ein Raubtier, dass seine Beute beschnüffelte. „!bueno!“ raunte er und schaute Anne nun direkt in die Augen.

Anne war in höchster Alarmbereitschaft. Jeder Muskel war wie die Sehne eines Pfeilbogens, zum Abschuss bereit, gespannt. Sein Gesicht näherte sich Annes nun bis auf ein paar Milimeter, er spitzte seine Lippen und wollte Anne augenscheinlich küssen. Das war das Signal für sie. Ihre Sicherungen brannten durch! Ohne nachzudenken hob sie ihr Knie mit einer Wucht, die Knochen brechen würde, zwischen die Beine ihres Peinigers. Volltreffer! Er keuchte, klappte vornüber und streifte Annes Uniform. Eine übelriechende Spur aus Speichel und Schweiss hinterlassend schoss sein Kopf, Annes Oberkörper streifend, hinab. Anne nahm beide Hände und ballte sie zu einer einzigen grossen Faust und schlug mit aller Wucht in den Nacken des stinkenden Polizisten. Dieser taumelte nun zur Seite und schlug mit dem Kopf heftig an die Seite des Lieferwagens. „¡qué puta!“ Die Worte kamen leise, atemlos und gepresst aus seinem Mund und er warf Anne einen tödlichen Blick zu. Anne konnte gerade noch sehen, wie seine Hand zur Waffe griff, als ein dumpfer Knall die Augen des Polizisten leer werden liess. Seine Pupillen rollten nach oben und er fiel der Länge nach, nach vorne auf den Boden. Hinter ihm erblickte sie Luis mit einem runden, kurzen, blutbeschmierten Holzbalken in der Hand. „Luis! Du… “ Er fiel ihr ins Wort: „Schnell, wir müssen ihn verstecken!“

Anne rüttelte an der Tür des Lieferwagens. Er war nicht verschlossen. „Hilf mir! Raunte sie Luis zu. Wir verstecken ihn hier drin!“ Luis packte den Polizisten unter den Achseln, während Anne seine Beine nahm. Gemeinsam hievten sie den leblosen Körper in den Wagen. Plötzlich hörte Anne Stimmen. „Schnell, rein!“ flüsterte sie und stieg mit Luis in den Transporter zu dem bewusstlosen Polizisten. So leise es ging schlossen sie die Seitentür. Keine zwei Minuten später konnten sie die anderen bewaffneten Männer ganz in der Nähe des Wagens hören. „¡Sangre, aqui!” rief nun einer und die Polizisten versammelten sich neben dem Lieferwagen.

Anne und Luis erstarrten und hielten den Atem an.

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Fragmente 1.14 – Lebensgefahr

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Was bisher geschah:

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Der Umschlag enthielt ein Handy, 50’000.– Euro, eine Notiz mit der Adresse von Raouls Büro und mehrere Landkarten. „Lass uns dass in der Küche unten genau ansehen“ sagte Anne „Ich könnte einen Kaffee gebrauchen!“ ergänzte Sandra. „Gute Idee!“ meinte Anne, packte alles zusammen und ging mit Ihrer Freundin hinunter in die Küche. Sandra schaltete die Kaffeemaschine ein, suchte zwei Tassen und bald darauf blubberte heisses Wasser durch die Maschine und ein angenehmer Kaffeeduft verbreitete sich im Raum.

„Er hatte es schon länger so geplant!“ sinnierte Anne vor sich hin. „Was meinst Du?“ fragte Sandra. Annes Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Warum wollte ihr Vater nicht selbst nach Peru zu fliegen? Er konnte ja unmöglich vorher wissen, dass er im Koma im Spital liegen würde und nicht selbst zu Raoul würde reisen können. Was steckte hinter all dem? Anne kam nun plötzlich alles sehr seltsam vor und sie suchte innerlich nach einer Erklärung für diese Wendungen in ihrem Leben. „Vielleicht gibt es keine Erklärungen“ meinte Sandra. „Vielleicht muss sich das alles so entwickeln für Dich und Deinen Leben!“ Anne wollte gerade nachfragen was Sandra damit sagen wollte, als beide von einem dumpfen Geräusch im Keller aufgeschreckt wurden.

„Hast Du die Polizei angerufen?“ fragte Sandra leise und Anne schüttelte den Kopf. „Das habe ich fast vergessen!“ flüsterte sie zurück. „Meinst Du der Einbrecher ist zurück oder war noch gar nicht aus dem Haus verschwunden?“ Sandra dachte nach. „Das Quietschen der Eingangstür kam vielleicht gar nicht davon, dass unser Eindringling das Haus verliess. Vielleicht kam noch ein zweiter Eindringling ins Haus?“ Anne schauderte bei dem Gedanken. Plötzlich sprang Sie vom Stuhl auf, schloss die offenstehende Kellertür zu und drehte den Schlüssel vorsichtig im Schloss. „So! Hilf mir bitte noch den Küchenschrank vor die Tür zu schieben, damit sie nicht so einfach aufgebrochen werden kann!“. Sandra packte mit an und die beiden schoben den Schrank vor die Tür.

Anne zog ihr Handy aus der Tasche und rief die Nummer von Inspektor Trost an. In knappen Worten erzählte sie was passiert war. Sie wurden angewiesen das Haus zu verlassen und draussen auf die Polizei zu warten. Anne kramte den Inhalt des Umschlags zusammen und packte alles in ihre Handtasche.  Die beiden Frauen wollten gerade die Küche verlassen als sie plötzlich Schritte aus dem Flur hörten. „Scheisse!“ entfuhr es Sandra und plötzlich standen beide einem riesenhaften Kerl gegenüber, der breitbeinig in der Tür zur Küche stand. Sein Blick erfasste die Situation und er realisierte sofort, dass sein Komplize im Keller eingesperrt war. Anne und Sandra pochte das Herz bis zum Hals, denn der grimmige Gesichtsausdruck des Mannes liess nichts Gutes erwarten. Er griff in seine Jacke und zog eine Waffe heraus, die er sogleich auf Anne richtete. „Aufschliessen!“ schrie er und zeigte mit der freien Hand Richtung Kellertür. Anne und Sandra blieben wie angewurzelt stehen und waren vor Schreck nicht fähig sich zu bewegern. „Mach schon!“ brüllte der Kerl und fuchtelte mit seiner Pistole vor Annes Nase herum. Anne machte einen Schritt auf die Kellertür und das davor geschobene Küchenregal zu. Sandra stand noch immer auf der anderen Seite der Küche, starr vor Schreck. „Wird’s bald!“ schrie der Kerl erneut und Anne begann sich gegen den Küchenschrank zu stemmen um ihn von der Tür weg zu schieben. Doch die Kraft hatte sie verlassen, sie war gelähmt vor Angst und der Schrank wich keinen Millimeter.

Der Einbrecher richtete die Waffe auf Annes Stirn. Panik frass sich in ihr Herz und ihren Verstand und innerlich schloss sie mit ihrem Leben ab und blickte geschockt in den Lauf der Waffe, der keine 10 Zentimeter vor ihrem Gesicht auf sie gerichtet war. Plötzlich registrierte sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel und mit einem lauten Klirren und zerbarst der Kaffeekrug mit dem heissen, braunen Inhalt im Gesicht des Mannes. Er wankte, machte zwei Schritte zurück, stolperte über die Türschwelle und landete mit einem Schrei auf dem Rücken liegend im Flur. Mit ein paar Schritten stand Sandra bei ihm, kniete sich nieder und hielt ihm ein grosses Küchenmesser an die Kehle. „Du verdammtes Arschloch!“ brüllte sie und beinahe hätte sie vor Angst und Wut das Messer einfach in das pulsierende Fleisch seiner Kehle gestossen.

Anne stand wie angewurzelt vor dem Küchenschrank und konnte nicht glauben, was eben passierte. „Sandra? Er hätte mich erschiessen können! … Du….Was?“ Sandra grinste Anne triumphierend an. „Hätte er nicht! Die Waffe war nicht entsichert und nicht geladen!“. Anne schlug das Herz noch immer bis zum Hals „Wie wusstest Du?“ „Ich hatte einen Freund, der bei der Polizei arbeitete und ein Waffennarr war“ fiel ihr Sandra ins Wort und ergänzte: „Der hat mir einiges beigebracht!“. „Wow!“ entfuhr es Anne. Doch noch immer war ihre Angst nicht gewichen. Umso mehr jetzt der Komplize des Angreifers an die Kellertür hämmerte und fluchte was das Zeug hielt. Plötzlich ertönten Schüsse und Holz splitterte, Tassen und Teller im Küchenschrank zerbarsten und einige Kugeln zischten durch die Küche. Anne hatte Glück, nicht in der Schusslinie gestanden zu haben und beide zogen sich nun in den Flur zurück. „Gib mir die Waffe!“ sagte Sandra. Anne hob die Pistole auf und gab sie Sandra. „Hier nimm das Messer und halt es ihm an die Kehle! Wenn er sich auch nur einen Zentimeter bewegt, stich einfach zu!“ Anne übernahm das Messer, auch wenn ihr dabei nicht sonderlich wohl war und sie spürte den Atem des Mannes an ihrer Hand, während dem Sandra die Pistole nahm, entsicherte und durchlud. Sie richtete sie auf ihn und schrie „Wenn Du Dich bewegst, drücke ich ab! Sein Komplize hatte sein Magazin verschossen und versuchte noch immer die Tür aufzubrechen.

Plötzlich hörten die beiden Frauen einen Knall. Die Haustür flog mit einem lauten Quietschen auf und ein Beamter brüllte „Polizei! Keine Bewegung!“ . Etwa sechs Polizisten mit gezückten Waffen drangen in den Flur ein und erlösten die beiden Freundinnen aus der bedrohlichen Situation. Der Einbrecher am Boden wurde von zwei Beamten in Handschellen gelegt und abgeführt. Die Polizisten rückten nun den Küchenschrank von der Tür weg und schlossen die Tür auf. Sie drangen in den Keller ein und durchsuchten alles. „Nichts!“ rief einer von unten hoch. „Das Kellerfenster ist aufgebrochen, er ist geflüchtet!“ drang die Stimme eines Polizisten nach oben, worauf die restlichen Beamten sofort nach draussen rannten und damit begannen die Umgebung des Hauses abzusuchen. Mittlerweile war auch Inspektor Trost in die Küche gekommen und bat die beiden Frauen, mit ihm aufs Revier zu kommen.

Als sie bei ihm im Auto sassen, schwiegen sie beide eine Zeit lang, bis Anne plötzlich zu zittern begann und in Tränen ausbrach. „Wir hätten sterben können!“ schluchzte sie, während Sandra vor sich hin starrte. „Du hast uns gerettet!“ sagte Anne nun zu Sandra und nahm sie  in den Arm. „Wie konntest Du nur so eiskalt reagieren?“ „Ich weiss es selbst nicht!“ antwortete Sandra und war scheinbar selbst von ihrem Tun geschockt. „Ich habe einfach nur noch funktioniert ohne darüber nachzudenken!“. Die beiden blickten einander an und plötzlich löste sich Annes Anspannung in einem lauten Lachen. „Danke Sandra! Ohne  Dich wäre ich wohl verloren gewesen!“ schickte Anne hinterher. Inspektor Trost beobachtete die Beiden im Rückspiegel und sagte: „Es hätte aber auch ins Auge gehen können! Sie haben mutig gehandelt, aber auch leichtsinnig!“.

Auf dem Revier angekommen erzählten beide Frauen genau, was passiert war. Allerdings verheimlichte Anne den genauen Inhalt des Umschlags. Sie erzählte weder vom Geld noch vom Handy. Denn sie hatte keine Ahnung, woher ihr Vater beides hatte und sie wollte verhindern, dass irgendetwas ihre Reise nach Peru verhindern konnte. Nachdem sie ihre Aussage gemacht hatten fuhren beide zu Sandra nach Hause. Doch sie blieben nicht, denn ihnen war klar, dass sie dort nicht in Sicherheit waren. „Lass uns in ein Hotel in der Stadt fahren und dort bleiben, bis der zweite Täter verhaftet wird!“ sagte Anne und Sandra nickte. Sie wusste, dass es besser so wäre, obwohl sie sich nichts sehnlicher gewünscht hatte als zu Hause in ihren eigenen vier Wänden zu sein. Sie packten das Nötigste ein und setzten sich in Sandras Auto.

Sie fuhren in der Dämmerung los und beide sassen schweigend nebeneinander. Als sie an der Stelle vorbeifuhren, an der Anne mit Ihrem Vater verunfallt war, überkamen Anne die Erinnerungen. Schlagartig waren die Bilder des Unfalles wieder da. Sie klammerte sich an den Sitz im Auto und befürchtete, dass wieder etwas passieren könnte. Doch Sandra steuerte das Auto problemlos durch die Kurve und die Stadt lag schon zum Greifen nah vor ihnen. „Ich glaube, wir werden verfolgt!“ sagte Sandra plötzlich mit einem Blick in den Rückspiegel. „Was?“ fragte Anne zurück und drehte sich auf ihrem Sitz um. Tatsächlich schloss ein schwarzer Wagen hinter ihnen gefährlich nahe auf. Sie konnte den Fahrer nicht erkennen, denn die Nacht brach herein und überzog die Landschaft mit ihren schwarzen Schwingen. Die Scheinwerfer des Autos blendeten sie und langsam schnürte sich Annes Kehle zusammen. Plötzlich machte Sandras Auto einen Ruck und das Geräusch von krachendem Kunststoff und Metall war zu vernehmen. „Dieser Scheisskerl hat uns gerammt!“ rief Sandra. „Los gib Gas!“ antwortete Anne und versuchte ruhig zu bleiben. Doch das Auto hinter ihnen wich keinen Zentimeter. Plötzlich riss der Verfolger sein Steuer nach links und setzte zum Überholmanöver an. Er versuchte nun von der Seite Sandras Auto an den Berghang rechts von Strasse zu drängen um die beiden anzuhalten. Doch Sandra manövrierte Ihren Wagen geschickt und konnte immer wieder ausweichen, obwohl Sandra beinahe mit den rechten Rädern in den Strassengraben fuhr.

Anne schaute nach vorne und sah, dass sie auf eine enge Rechtskurve zusteuerten. „Pass auf!“ brüllte sie los. Sandra blickte nach vorne und trat mit voller Kraft auf die Bremse. Die beiden Frauen wurden fast an die Windschutzscheibe nach vorne gedrückt und nur die Sicherheitsgurte verhinderten, dass sie aus ihren Sitzen gerissen wurden.

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