Freundschaft ist auch mehr so Liebe


Bildlegende: Band „Cover on the Roxx“ in der ich einige Jahre als Sänger dabei war

Was ist eigentlich eine Freundschaft? Diese Frage ging mir heute durch den Kopf. Ich könnte jetzt einen Wikipediaartikel verlinken oder bekannte Zitate von mehr oder weniger berühmten Autoren anführen. Aber Nein, es geht mir um meine ganz persönliche Ansicht was Freundschaft für mich bedeutet.

Im innersten Kern ist Freundschaft für mich Liebe. Ich könnte jetzt noch Ergänzungen und Ausnahmen anfügen, aber genau das möchte ich eben nicht tun. Als Freunde bezeichne ich Menschen, die ich sehr gerne habe. Aus vielen Gesprächen weiss ich, dass viele meiner Bekannten ganz bestimmte Erwartungen an Freunde stellen und Freundschaft nach bestimmten Kriterien definieren. Sie erwarten dass ihre Freunde immer für sie da sind und sich regelmässig melden.  Ich kann das nicht. Also ich meine, ich habe diese Erwartungen nicht und ich möchte nicht solchen Ansprüchen genügen müssen. Viele meiner Freunde leben weit entfernt und mit einigen von diesen geliebten Menschen habe ich schon länger keinen Kontakt gehabt. Trotzdem haben sie einen festen Platz in meinem Herzen.

Ich erwarte nicht, dass Freunde immer für mich da sind, mich trösten, mich bespassen, sich um mich kümmern oder sich regelmässig melden. Ich brauche kein Care-Paket, ich möchte Gefühle teilen. Ich will sie nur einfach gern haben ohne dauernd mit dem inneren Taschenrechner nachkalkulieren zu müssen, ob denn auch genügend zurück kommt oder ich genügend gebe. Genau so ist das auch mit der Liebe in Beziehungen. Klar, im Idealfall halten sich die geschenkte und erhaltene Liebe in etwa die Waage. Aber kann man das wirklich messen? Ist es nicht so, dass die Erwartungshaltung ganz generell der grösste Feind der Liebe ist? Werden wir aber mit unserer Erwartungen unseren Freunden, Partnern und geliebten Menschen überhaupt gerecht? So nach dem Motto “Ich liebe Dich, wenn Du meinen Erwartungen entsprichst”. Für mich hat das nichts mit Liebe zu tun!

Immer wenn ich Zuwendung von geliebten Menschen erhalte und diese nicht erwartet hatte, erfüllt es mich mit Glück und angenehmer Gänsehaut. Es ist wie mit Überraschungsgeschenken. Ahne ich bereits, was auf mich zukommt und trifft dies ein, wurde  eine Erwartung erfüllt. Das erfüllt vielleicht mit einer gewissen Befriedigung. Gelingt aber die Überraschung, ist es ein unglaublich gutes Glücksgefühl.

Für mich sind Freunde keine Statisten mit der Lizenz zum Glücklich machen. Für mich sind Sie ganz einfach Menschen die ich liebe. Genau so, wie ich es auch in meiner Beziehung halte. Ich bin selbst für mein Glück verantwortlich, nicht mein Partner und nicht meine Freunde. Aber ich kann es mit ihnen teilen!

1.32 – Das Wiedersehen

Fotocredit: 3EyePanda @ Flickr

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„Wach auf, wir sind da!“ hörte sie Raouls zärtliche Stimme an ihr Ohr dringen. Anne öffnete langsam ihre Augen und tauchte zurück in die Realität. Sie waren bei Margarethas Pension angekommen und Carlos und Luis waren bereits dabei, das Gepäck in das Haus zu tragen. Anne brauchte einen Moment um wach zu werden und stieg dann ebenfalls aus. Raoul nahm ihre Hand und lief zur Eingangstür wo Margaretha stand und sie freudig erwartete. „Wie geht es Pedro?“ wollte Anne sogleich wissen. Margaretha nahm Anne in die Arme und lächelte. „Es geht ihm den Umständen entsprechend gut und er wird bald wieder der Alte sein!“ sagte sie sichtlich erleichtert. „Kommt ins Haus!“ sagte Margaretha und sie traten ein. Tatsächlich sass Pedro drinnen am Tisch und auch er freute sich über die Ankunft der vier Abenteurer. Anne nahm Pedro in den Arm und drückte ihn an ihr Herz. „Es geht mir gut! Ich bin nur noch etwas schwach auf den Beinen, aber sonst bin ich einigermassen in Ordnung!“ sagte er zu Anne und fügte hinzu: „Ich freue mich so, dass ihr wieder da seid und Raoul und Carlos gefunden habt!“

Als das Gepäck verstaut war und sie alle geduscht und sich umgezogen hatten, traf sich die Gruppe im Speisesaal. Margaretha brachte Getränke und aus der Küche duftete es herrlich! „Gleich könnt ihr alles erzählen!“ freute sie sich und verliess den Raum um gleich wieder mit einem grossen Topf voller heisser Suppe zurück zu kehren. Es wurde ein grosses Fest und hätten die Wände des Raumes Ohren gehabt, sie hätten sich über die abenteuerlichen Erzählungen gewundert. Jeder berichtete, was er erlebt hatte und langsam fügten sich die einzelnen Geschichten zu einem grossen Ganzen.

„Wir werden bald wieder aufbrechen!“ sagte Anne. Ich glaube, ich weiss nämlich wo die Bibliothek zu finden ist! „Du träumst doch!“ lachte Luis. „Nein, Luis. Jetzt nicht mehr! Aber ich habe tatsächlich davon geträumt. Mein Vater hat mir den Zugang gezeigt!“ antwortete sie und fügte unternehmungslustig grinsend an: „Wann brechen wir auf?“ „Erst mal werdet Ihr mindestens eine Nacht lang in einem richtigen Bett durchschlafen!“ sagte Margaretha bestimmt und alle nickten lachend. Lange sassen sie da, genossen das Essen und den Wein während draussen die Nacht ihre dunklen Flügel über die Stadt ausbreitete. Anne nahm Raouls Hand und blickte ihn lange und zärtlich an. „Ich bin so froh, Dich endlich gefunden zu haben!“ raunte sie leise. Raoul erwiderte ihren Blick und nickte. Er sagte nichts, aber seine Augen sprachen tausend Worte.

„Kommst Du mit raus?“ fragte er, während er vom Tisch aufstand. Anne nickte. Sie verliessen die Runde und gingen auf die Veranda. Mittlerweile war es tiefe Nacht und die Sterne funkelten am Himmel. „Anne ich…“ begann Raoul, doch sie konnte nicht anders und küsste ihn unvermittelt. Erst vorsichtig, dann immer leidenschaftlicher. Es war, als würden sich all die Ängste und Qualen der letzten Wochen auflösen und zu einem Punkt im Nirgendwo zusammenschrumpfen. Sie und Raoul waren zusammen. Das war das Einzige, das für Anne im Moment zählte. Ihr Herz schien fast zu platzen und klopfte wild. „Komm!“ sagte Raoul und legte seinen Arm und ihre Schulter. „Ich will mit Dir alleine sein. Nicht mehr reden. Ich will Dich in diesem Moment nur spüren, ganz bei Dir sein und mich in Dir verlieren!“ flüsterte er. Die beiden bemerkten nicht einmal, dass sie nicht mehr alleine auf der Veranda waren. Ein paar Schritte neben ihnen standen Carlos und Luis ebenfalls eng umschlungen. Die beiden Männer schauten sich wortlos und tief in die Augen. Nur ab und zu unterbrach ein zärtlicher Kuss ihre Blicke. Als Anne und Raoul an ihnen vorbei gingen, lösten sich Carlos und Luis voneinander. Luis umarmte Anne während Raoul seinen Bruder an sich drückte. Ihr Glück war vollkommen. Wenigstens jetzt, in diesem Augenblick. „Wir werden schlafen gehen“ sagte Anne und Luis lächelte sie an. „Geniesst es!“ sagte er mit einem Zwinkern und blickte zu Carlos. Dieser nickte nur und auch sie beide verliessen die Veranda. Margaretha hatte den Tisch abgeräumt und wollte gerade eine Runde Pisco offerieren. „Nein Danke!“ sage Anne und das Lächeln in ihrem Gesicht verriet Margaretha, dass sie gar nicht erst versuchen müsste, sie umzustimmen. „Gute Nacht! Wir sehen uns morgen!“ sagte sie und setzte sich zu Pedro an den Tisch. Anne, Raoul, Luis und Carlos wünschten den beiden ebenfalls eine gute Nacht und zogen sich zurück.

Als Anne neben Raoul im Bett lag, überkam es sie. Sie konnte ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren und während ihr die Tränen der Erleichterung und des Glückes über die Wangen kullerten, küsste Sie ihren Geliebten erneut. Es war ein Kuss, der nicht enden wollte. Sie löste ihre Lippen auch dann nicht von seinen, als sie begann sein Hemd aufzuknöpfen um es ihm auszuziehen. Sie sog Raouls Geruch tief in sich auf und ihr wurde dabei beinahe schwindlig. Sie strich mit ihren Händen über seine Arme und die feinen Haare fühlten sich wie tausend Federn an, die nur dazu geschaffen worden waren, sie zu streicheln. Raoul beendete den schier endlosen Kuss um nun auch Annes T-Shirt auszuziehen. Er begann ihren Körper mit seinen Lippen zu liebkosen und sie mit Küssen zu bedecken und Anne spürte seinen heissen Atem auf Ihrer Haut. Sie vibrierte regelrecht und ein wohliges Zittern durchlief sie, während Raouls Mund ihren Bauchnabel fand. Sie fühlte wie er sich noch weiter nach unten bewegte. Etwas in ihrem Kopf schien zu platzen und Annes Gefühle explodierten wie ein Feuerwerk mit tausend blütengleichen Funkenbouquets. „Hör nicht auf!“ flüsterte sie und fasste mit ihren Händen zärtlich in Raouls Locken. Er dachte nicht im Traum daran, jetzt aufzuhören und Annes Verstand schien sich in leuchtende, oszillierende Schwaden aufzulösen. Wieder trafen sich ihre Lippen und ihre Körper verschmolzen zu einem. Anne hatte aufgehört zu denken und war nur noch sie selbst! Sie spürte, wie jede ihrer Bewegungen Raoul dem Zenit der Leidenschaft näher brachte. Sie schienen gemeinsam zu schweben und Raouls Körper begann zu beben. Seine Gedanken versanken im Meer der Lust und seine Muskeln spannten sich wie der Bogen eines Kämpfers der bereit war, seinen Pfeil mit unglaublicher Kraft dem Ziel entgegen zu schicken. Ein paar Sekunden lang, die sich äonengleich und unmessbar ausdehnten, ritt Raoul auf einer kosmischen Welle, bevor sich die aufgebaute Energie wie ein Vulkanausbruch entlud.

Anne hatte das Zeitgefühl verloren und Ihre Gedanken tanzten unstrukturiert und sich verselbständigend durch ihren Kopf. Langsam fand sie sich wieder, eng an Raouls heissen Körper geschmiegt, ihre Sinne sammelnd. Anne spürte, wie erneut Freudentränen über Ihr Gesicht kullerten. Sie legte Ihren Kopf auf seine Brust während er seinen Arm um ihre Schultern legte und noch bevor sie ihm sagen konnte wie sehr sie ihn liebte, raubte ihr der Schlaf das Bewusstsein. Raoul strich Anne zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. Er wollte nicht gleich einschlafen und beobachtete glücklich, wie sich ihr Körper immer mehr entspannte und genoss dieses Gefühl sie endlich bei sich zu haben.

Aus dem Zimmer nebenan drangen Geräusche zu Raoul hinüber, die ihn lächeln liessen. Er hörte dass er und Anne nicht die einzigen waren, die ihr Wiedersehen genossen und er war froh im Wissen darum, dass auch sein Bruder glücklich war. Langsam versank nun auch Raoul im Land der Träume. Anne lag noch immer in seinen Armen mit dem Kopf auf seiner Brust, die sich nun regelmässig hob und senkte.

Margaretha löschte das Licht in ihrem Zimmer, nachdem auch sie ins Bett gegangen war und so kehrte Ruhe in der kleinen Pension ein. Von draussen drangen ganz leise die Geräusche der Stadt an Margarethas Ohr und wiegten sie in einen entspannten Schlaf. Sie war froh, dass alle wieder da waren und die Liebenden einander gefunden hatten. Das Glück schien nun perfekt zu sein.

Doch Glück war schon immer ein Zustand, der sich durch eine besondere Flüchtigkeit auszuzeichnen schien und hätten Anne, Raoul, Margaretha und die Anderen gewusst, was sich tief unter der Ebene von Nazca gerade jetzt ereignete, hätte keiner von Ihnen ein Auge zugetan.

Weiter mit Fragmente 1.33 – Der Eingang

Fragmente 1.3 – Raoul

Fotocredit: Jessie Reeder

Was bisher geschah:

Fragmente 1.0 – Anne

Fragmente 1.1 – Aufbruch

Fragmente 1.2 – Anruf aus der Vergangenheit

Annes Lippen kräuselten sich, als sie ihren Atem mit einem leisen Geräusch entweichen liess. „OK – ich rufe ihn zurück!“ Sandra blickte sie gespannt an „Jetzt gleich?“ wollte sie wissen. Aber Anne wiegelte ab. Sie wollte sich erst klar werden, ob sich ihre Entscheidung gut anfühlte und was Ihr Herz, nachdem es sich langsam wieder beruhigt hatte, dazu sagen würde. „Diese Sache mit Raoul damals war echt hart für mich“ begann Anne Sandra zu erklären. Noch nie hatte sie sich so Hals über Kopf in einen Mann verliebt. Noch dazu in einen, der ungreifbar erschien. Lebte er doch damals in Peru. Und er musste noch immer dort leben, denn die Nummer war die gleiche wie damals, sonst hätte ihr Handy ja den Anrufer nicht erkannt. „Ich weiss nicht was mit mir geschieht, wenn ich seine Stimme wieder höre“ sinnierte Anne weiter und Sandra hing an ihren Lippen. „Was, wenn meine Gefühle auf einmal wieder da sind? Ich brauchte damals so lange, bis ich Raoul wieder vergessen konnte.“

Sandra verdrehte die Augen „Aber es wird doch einen Grund geben, warum er dich nach so langer Zeit versucht hat anzurufen?“ Annes Gedanken begannen zu kreisen. „Vielleicht hat er dich niemals vergessen können“ doppelte Sandra nach. „Und warum ruft er genau jetzt an, einen Tag nach dem ich meine Beziehung mit Nick beendet habe? Glaubst Du an Zufälle?“ Anne blickte ihre Freundin fragend an. „Oder glaubst Du an Schicksal?“. Sandra legte sich ihre Antwort im Kopf zurecht und antwortete geheimnisvoll „Nichts von beidem existiert wirklich!“ Anne dachte nach. Was konnte Sandra damit meinen? „Es ist nicht so einfach zu erklären, was ich glaube“ fuhr Sandra weiter. „Das Schicksal ist nicht festgeschrieben, aber es geschieht auch nichts zufällig in unserem Leben. Alles hat seinen tieferen Sinn!“

Plötzlich wurde Anne hektisch „Ich rufe ihn an! Gleich jetzt!“. Sie tippte auf die Rückruftaste ihres Handys und hielt es an ihr Ohr. Ein Zittern ergriff ihren ganzen Körper und irgendwie fühlte sie sich plötzlich so durchsichtig, irgendwie flüchtig und es war ihr, als könnte sie Raouls Gesicht ganz nahe bei Ihrem fühlen. Sie fieberte dem Moment entgegen in dem sie Raouls Stimme hören würde. Es schien eine Ewigkeit zu dauern und als sie endlich ein Knacken in der Leitung vernahm, blieb ihr Herz für eine Zehntelssekunde lang stehen. Sie hörte ein heftiges Atmen, als ob jemand um sein Leben rannte. „Moment bitte! Warte, leg nicht auf!“ Raouls Stimme klang gehetzt. Anne hörte schnelle Schritte, weit entfernt bellten mehrere Hunde und plötzlich zeriss ein Knall die unheimliche Szene. „Scheisse – diese Idioten meinen es ernst“ stiess Raoul hervor. Anne erschauderte. Ihre anfängliche Nervosität war nun blanker Angst gewichen. „Raoul, um Gottes Willen, was ist los bei Dir?“ Anne fror. „Warte, bitte warte und bleib dran!“ hörte sie Raoul jetzt schreien. „Ich bin gleich in Sicherheit!“ Dann vernahm sie durch das Telefon wie sich die Szenerie am anderen Ende der Verbindung veränderte. Stimmen von vielen Menschen drangen an Ihr Ohr. Das Atmen von Raoul wurde ruhiger. „Ich habe sie abgehängt! Ich sitze jetzt in einem Café. Hier wird mich niemand verfolgen!“
Anne atmete schnell, ihre Gefühle fuhren Achterbahn und am liebsten hätte sie Raoul tausend Fragen gestellt. Was er denn jetzt so mache, wie es ihm gehe, warum er sich jetzt gemeldet habe und überhaupt wollte sie ihm irgendwann alles über ihre Gefühle von damals erzählen. Jetzt aber brachte sie nicht viel über ihre Lippen: „Raoul, was ist los bei Dir? Du machst mir eine Höllenangst!“

Dem Klang seiner Stimme konnte sie anhören, dass er jetzt lächelte und sie kannte dies Lächeln, dass einem die Sonne ins Herz scheinen liess. „Ich bin da in etwas hineingeraten, das ich selbst noch nicht richtig verstehe!“ sie hörte wie er nun in spanisch ein Bier bestellte, dann wendete er sich wieder an sie „Bei einer Grabung sind wir auf eine Höhle gestossen, die uns zu einem Raum führte, der unzählige antike Schriftstücke enthielt. Ich glaube, es handelt sich dabei um eine Art Bibliothek. Das Verrückte dabei ist, dass die ersten Funde die wir begutachteten, aus den verschiedensten Regionen der Erde stammten. Sogar eine Schriftrolle in aramäischer Sprache war dabei. Alles ist sehr rätselhaft“ Anne versuchte das Gehörte irgendwie einzuordnen. Sie wusste das Raoul Archäologie und ein paar Semester Theologie studiert hatte und sie sah ihn vor sich, wie er in diesen geheimnisvollen Raum eindrang und als erster Mensch seit unzähligen Generationen die Luft dort drin einatmete. „Vor ein paar Tagen verschwand urplötzlich der Grabungsleiter und zwei Hilfsarbeiter. Und seit gestern, werde ich verfolgt. Ich habe keine Ahnung wer hinter mir her ist und warum. Aber ich habe eine Scheissangst!“ Anne hörte zu, langsam konnte sie sich wieder etwas beruhigen. „Und warum hast Du  ausgerechnet mich angerufen?“ fragte sie nun, sich selbst Luft mit einer Serviette zufächelnd. „Weil ich seit Tagen jede Nacht von Dir träume, Anne!“ Anne schluckte hörbar „Ich habe dich in all den Jahren nicht vergessen können!“ hörte sie Raoul leise sagen.

Eine Träne rann über ihre Wange, blieb an ihrer Oberlippe hängen um sich dann zu lösen und mit einem leisen Blubb in ihren Kaffee zu fallen. „Seit ich mich damals am Flughafen von dir verabschiedet habe, hatte sich Dein Gesicht in mein Gedächtnis gebrannt. Ich hätte damals nicht einfach gehen dürfen. Aber ich wusste, dass Du nicht frei bist und ich machte mir Vorwürfe wegen des Abschiedskusses und weil ich fühlte, wie sehr ich Dich damit in Bedrängnis brachte.“ In Annes Kopf drehte alles. Wären da oben irgendwelche losen Gegenstände, sie würden jetzt mit voller Wucht gegen ihre Schädeldecke gedrückt. „Raoul“ Anne versuchte zu sprechen, „ich weiss nicht, was ich sagen soll! Ich weiss nur, dass ich mich seit Deinem Anruf komplett ausserhalb der Normalität befinde.“ Sehnsucht packte ihr Herz und auf einmal fühlte sie nur noch dieses brennende Verlangen Raoul zu umarmen, seine Haut zu riechen, seinen Puls zu fühlen, sein Gesicht in ihre Hände zu nehmen und ihn zärtlich, innig und dann leidenschaftlich zu küssen.

Sie fühlte sich wie ein einziges Vakuum, dass nur noch von dem Wunsch beseelt war, all die verpassten Jahre aufzuholen. „Ich würde Dich so gerne sehen!“ Raouls Stimme wurde weich und er sagte: „Das kannst Du bald! Ich werde übermorgen nach Europa fliegen um Professor Carlitos in Bern zu treffen.“ Annes Herz begann augenblicklich wieder einen schnelleren Rhythmus anzuschlagen. „Anne, bist Du noch dran?“ „Ja, Raoul!“ Anne wurde heiss und kalt zugleich. „Ich möchte Dich sehen, unbedingt!“ Ihre beiden Stimmen sagten diesen Satz synchron, als ob sie ihn schon hunderte Male gemeinsam geübt hätten. „Ich muss jetzt auflegen! Ich melde mich bald bei Dir!“ Anne wollte nicht, dass er das Gespräch schon beendete, es gab noch so viele Fragen, die sie ihm stellen wollte! „Ich kann es kaum erwarten, Dich wieder in meine Arme zu nehmen!“ Raouls Stimme enthielt dabei soviel Wärme dass Anne kaum ein Wort mehr darauf erwidern konnte. „Ich freue mich auch!“ sagte sie.

Das Flirren der Luft, das Knistern und all diese blühenden Gedanken nahmen ein abruptes Ende als Raoul plötzlich hastig in sein Telefon sprach „Ich muss Schluss machen, Anne. Sie kommen! Ich muss hier weg!“ „Raoul! …Raoul…?“ aber ein Klicken in der Leitung unterbrach das Gespräch.

Anne sank in ihren Stuhl zurück und ihre Augen wanderten zu Sandra, die das ganze Gespräch mitverfolgt hatte. Annes Freundin sah sehr besorgt aus. Sie streckte Ihre Arme aus um Anne zu umarmen. Anne legte ihren Kopf an Sandras Schulter und fühlte sich für den Augenblick geborgen.

Tausend Fragen tanzten durch ihren Kopf und vor Sorge würde sie diese Nacht kein Auge schliessen können, dessen war sie sich sicher. Doch es kam anders. Die Aufregung des Tages forderte ihren Tribut und als Anne an diesem Abend in das Bett stieg, dass in Sandras Gästezimmer stand, schlief sie sofort ein!

Aber es war ein unruhiger Schlaf und bald schon sass Anne wieder auf dem Rücken des Adlers, der mit ihr über den Atlantik flog.

Weiter mit Fragmente 1.4 – Ein neuer Traum