Fragmente 1.29 – Wut gegen Angst


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In Annes Herz krampfte etwas Dunkles, Kaltes und Besitzergreifendes das den Körper zu fluten drohte wie tödliches Gift. Angst. Es war pure, nackte Angst. Doch Anne spürte auch noch etwas anderes. Tiefer unten in ihrem Bauch. Etwas das blitzte wie das Sonnenlicht, das sich in einem blankpolierten Schwert spiegelte. Etwas heisses, dass die dunkle und kalte Angst frass, wie das Feuer seine Nahrung. Unersättlich, unsteuerbar und brutal. Anne verspürte Wut. Unbändige und überschäumende Wut. „Jetzt reicht es mir!“ brüllte Sie los. „Ich habe die Schnauze gestrichen voll von diesen Verfolgungsjagden, Entführungen, Intrigen und dem ganzen Scheiss!“

Luis blickte Anne verzweifelt und erschrocken an. Er wusste nicht recht, was er von Annes Reaktion halten sollte. Drehte Sie nun durch oder was passierte gerade mit ihr? „Pisco!“ rief nun Anne. „Wo ist dieser Scheiss Pisco?“ schrie sie Luis an. “Willst Du jetzt etwas trinken?” rief er ungläubig zurück. Anne fasste sich an den Kopf. „Spinnst Du!?“ fragte sie den Fahrer ihres Wagens zurück. „Warum willst Du dann den Pisco?“ rief Luis zurück. „Na das wirst Du schon sehen!“ rief nun Anne mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Rums! Der Wagen hinter Ihnen krachte erneut mit voller Wucht in ihren Kofferraum und ihre Heckscheibe löste sich unter Knirschen und Splittern auf. Hundertausend kleine Glaswürfel verteilten sich auf dem Rücksitz und flogen, im Scheinwerferlicht der Verfolger glitzernd, durch die Luft.

„Unter dem Beifahrersitz!“ rief nun Luis. Anne beugte sich vornüber und griff mit der linken Hand unter den Sitz. Sie bekam etwas Hartes zu fassen und während ein weiterer Aufprall sie durchschüttelte, zog sie den Gegenstand hervor. Es war ein Pflasterstein, vermutlich um das Auto zu sichern, wenn es an einem steilen Ort geparkt wurde. Luis blickte Anne an und schüttelte den Kopf. Sie beugte sich noch einmal nach vorne und tastete unter dem Sitz nach der Flasche. Plötzlich berührten ihre Fingerspitzen etwas mit glatter und kühler Oberfläche. Anne versuchte danach zu greifen, aber die Flasche rollte noch weiter nach hinten. „Brems!“ schrie sie nun Luis unvermittelt an. „Hä?“ blickte dieser ungläubig zurück. „Ich soll was?“ rief er Anne zu, doch diese fackelte nicht lange, griff mit der Hand zwischen Luis Füsse durch und drückte auf die Bremse. Hinten splitterte und knirschte es erneut, doch die Flasche rollte wie gewünscht nach vorne.

Ein peitschender Knall zischte durch das Auto. Und gleich darauf noch ein zweiter. Die Frontscheibe splitterte nun ebenfalls. „Scheisse, die schiessen auf uns!“ rief nun Luis um Fassung ringend. Anne kannte sich nicht mehr. Ihr Herz brannte und ihr Bauch fühlte sich derart funkensprühend an, dass sie fast zersprungen wäre. Sie packte den Pflasterstein, drehte sich auf dem Beifahrersitz um und versuchte die Distanz zum hinteren Wagen abzuschätzen. Doch dieser hatte sich im Moment gerade so entfernt, dass Anne nur blendendes Licht registrierte. Schnell zog sie ihr T-Shirt aus und begann es zu zerreissen. Luis begriff nicht, was Anne vor hatte und vergass beinahe auf die Strasse zu achten. „Luis, nach vorne! Bitte schau nach vorne und sie zu, dass wir nicht von der Fahrbahn abkommen. Anne schraubte den Deckel von der Piscoflasche und stopfte einen Fetzen des T-Shirts in den Flaschenhals. Dann kippte sie die Flasche und tränkte den Stoff mit dem Schnaps, bis er total durchgenässt war.

Sie blickte wieder nach hinten und beobachtete die Verfolger. Erneut durchschnitt eine Kugel das Auto und beinahe wäre Anne getroffen worden. Ihre Wut schien nun überzulaufen. Anne tobte! „Brems Luis“ schrie sie plötzlich. „Brems sofort!“ Anne hatte sich auf dem Beifahrersitz umgedreht und hingekniet. Zwischen ihren Knien hatte sie die Flasche festgeklemmt. In ihrer linken Hand hielt sie ein Feuerzeug und in ihrer rechten den Pflasterstein. Luis begriff nun, was Anne wollte. Innerlich dachte er zwar noch, dass das nie klappen würde, aber sein Körper handelte instinktiv und gehorchte Annes Befehl. Er trat mit aller Kraft auf die Bremse! Das Auto wehrte sich und quietschte und knarrte, es fing an nach verbranntem Gummi zu riechen. „Halt Dich fest Luis, gleich kracht es! Wenn ich jetzt rufe, dann gibst Du Gas und fährst los, was die Karre hergibt!“. Luis nickte nur und stand noch immer auf dem Bremspedal.

Der Wagen hinter ihnen realisierte das Bremsmanöver zu spät. Es war Nacht und die Bremslichter von Anne und Luis Wagen waren längst zu Schrott gefahren. Die Verfolger versuchten abzubremsen, was ihnen teilweise gelang, dennoch landeten sie mit einem heftigen Knall im Heck des vorderen Autos, dass seine Fahrt stark abgebremst hatte. „Ihr Arschlöcher! Jetzt zeige ich Euch das Wetter in der Hölle!“ brüllte Anne und zog auf, um den Pflasterstein zu werfen. Er segelte durch ihr Auto und landete mit voller Wucht in der Frontscheibe des hinteren Wagens. Das knirschende und splitternde Geräusch zeigte Anne, dass ihr Plan aufging. Mit zittrigen Fingern zündete sie nun den mit Alkohol getränkten Lappen an der Piscoflasche an und schwang ihre selbstgebastelte Brandbombe triumphierend. „Fahrt zur Hölle!“ schrie sie wie ausser sich und warf den Brandsatz. Die Flasche drehte sich im Flug durch ihr Auto und streifte ganz knapp den Rahmen der Heckscheibe. Für einen Moment blieb Annes Herz stehen. Doch dann setzte die Flasche ihre Bahn fort und traf genau in ihr Ziel.

„Jeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeetzt!“ schrie Anne und Luis trat aufs Gaspedal. Die Reifen qualmten und schrien und der Wagen setzte sich taumelnd in Bewegung. Luis sah es nur im Rückspiegel, aber Anne kniete noch immer umgedreht auf dem Beifahrersitz. Ihr Gesicht wurde von einem gelben Feuerschein erleuchtet. Ein riesiger Knall begleitete die Explosion und das Fahrzeug blieb brennend stehen, während Anne und Luis in die Nacht hinaus rasten.

Einen Moment lang herrschte absolute Funkstille. Weder Anne noch Luis brachten ein Wort über ihre Lippen. Die Nacht zog mit kühlem Duft an ihren Gesichtern vorbei und die Luft wehte ungebremst in das Fahrzeug. „Da!“ rief Anne plötzlich. „Da vorne gibt es eine Abzweigung und die Strasse führt zu dem alten Haus dort weiter hinten. Kannst Du es sehen?“ fragte sie Luis. Dieser schüttelte den Kopf. Es war dunkel und dort brannte kein Licht. „Los, wir müssen von der Strasse!“ rief Anne und Luis wusste, dass sie recht hatte.

Der Wagen wirbelte den trockenen Sand auf der Strasse auf, doch im Schutze der Dunkelheit konnte das niemand sehen. Vor dem halb zerfallenen Haus hielt Luis den Wagen an. Anne entdeckte so eine Art Scheune neben dem Haus und wies Luis an, den Wagen dort zu verstecken. Er tat wie Anne ihn hiess. Er kam mit seinem Rucksack und einer Taschenlampe zurück. „Los, lass uns im Haus umsehen, ob wir eine Schlafgelegenheit finden!“ flüsterte Luis und beide stemmten die angelehnte, kaputte Tür auf. Es roch nach Moder und Schimmel und eigentlich hätte man annehmen müssen, dass dieses Haus schon lange nicht mehr betreten wurde. Doch Anne lenkte Luis Aufmerksamkeit auf den Fussboden. Da waren Fussspuren im Staub die ziemlich frisch aussahen. Luis schaute Anne fragend an. „Na los, las uns nachsehen!“ flüsterte sie. Luis zögerte, aber Anne packte ihn am Arm und nahm ihm die Taschenlampe ab.

Der Holzfussboden knarrte leicht bei jedem Schritt, den die beiden taten. Anne schlich sich immer weiter den Fussspuren nach, bis diese plötzlich mitten im Raum endeten. Anne kniete sich hin und fuhr mit der Hand über den Boden. „Dachte ich doch!“ flüsterte sie mehr zu sich selbst und schaute sich nach einem Gegenstand um, den Sie als Brecheisen hätte benutzen können. Tatsächlich fand sie ein Metallstück, dass sie in eine Spalte im Boden schob und sich nun mit aller Kraft dagegen stemmte. Es knarrte und plötzlich hob sich im Boden eine Falltür leicht an. Luis griff mit an und gemeinsam öffneten sie die Tür im Fussboden.

Sie blickten beide in einen Gang der scheinbar unter dem Haus verlief. Eine Kerze flackerte vor sich hin und verbreitete ein wenig Licht. „Los komm!“ raunte Anne Luis zu, der eigentlich gar keine Lust hatte, sich in ein neues Abenteuer zu stürzen. Doch Anne war nicht zu bremsen und lief immer schneller. In ihrem Bauch machte sich plötzlich ein seltsames Gefühl breit. Etwas in ihr fing immer mehr an zu drehen und an ihr zu zerren und sie hatte das Gefühl, dass eine Kraft sie zog. Doch plötzlich endete der Gang und Anne stand mitten in einem spärlich beleuchteten Raum.

Sie sah in zwei paar erschrockene Augen. Auch Luis bog nun um die Ecke und was er da sah, nahm ihm den Atem!

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